Mal wieder ein Marathon „um die Ecke“, und dazu ein ganz besonderer für mich. Nicht so sehr, weil ich diesen trotz der bestehenden Nähe noch nicht gelaufen bin, sondern weil ich meine jüngste Tochter Anne bei ihrem ersten Marathon begleiten darf. Nach Katrin Röhner aus meiner Laufgruppe zum Team-Marathon 1999 in Berlin und Thomas Hoffmann aus meinem Oberholzer Laufrevier zum Marathon Leipzig-Halle 2005 ist es das dritte Mal, diese schöne Aufgabe wahrnehmen zu können. Für den Tag des Marathons zeichnete sich ein traumhaftes Herbstwochenende mit für diese Zeit untypisch warmen Temperaturen ab. Zum Glück weist die Prognose für den Sonntag überwiegend bedeckten Himmel aus, sodass nicht das schlimmste Szenario mit praller Sonne zu befürchten ist. Eigentlich hatte ich das Vorhaben auf Anne bezogen schon abgeschrieben, da sie nach drei Wochen Urlaub mit Trainingsabstinenz erst 5 Wochen vor dem Ereignis wieder mit dem Training begonnen hatte. Und das ist ja gerade für das erste Mal nicht gerade eine üppige Vorbereitungszeit. Und dann verblüffte sie mich damit, dass sie schon nach einer Woche Wiedereinstieg in das Training eine lange Einheit über 3¾ Stunden mit einem danach absolut guten Befinden absolvierte. Das bewog mich dann am nächsten Vormittag, trotz einer bis gegen zwei Uhr dauernden feucht-fröhlichen Geburtstagrunde, nicht zu kneifen und die eigentlich anstehenden 35 Trainings-km auch in Angriff zu nehmen.
Und wie das bei Premieren manchmal so ist, beginnt der Marathontag dann mit einer kleinen Panne: Anne hat ihre Laufklamotten in Stuttgart vergessen. Aber die Schuhe sind zum Glück dabei. Alles andere ist kein Problem, sodass wir kurz vor acht in Richtung Dresden starten. Die sonntäglich freie Autobahn lässt uns bereits nach einer reichlichen Stunde am Ziel sein. Der kostenfreie Parkplatz ist noch lange nicht voll, so dass wir keinerlei Stress mit dem Abstellen des Fahrzeuges haben. Bis zur Umkleidemöglichkeit und Klamottenaufbewahrung in der Tiefgarage des Congress Centers ist es nur ein Katzensprung. Es ist alles gut organisiert, so wie das bei großen City-Marathons auch Standard ist. Was jedoch auch sonst typisch und ebenso hier der Fall ist: die Dixis sind zu knapp. Mit einer angegebenen Zielzeit von 4:30 h sind wir im Startblock C eingruppiert. Es gibt das obligatorische Vor-dem-Start- Foto. Da die 10 km und Halbmarathonis mit uns zusammen starten, gehen dann um zehn bei ca. 15 °C mehr als 9000 Starter auf der Ostra-Allee auf die Strecke.
Wir finden schnell ein gleichmäßiges Tempo und harmonieren dabei recht gut. Durch die vorhandene Bewölkung ist es angenehm zu laufen. Bereits nach kurzer Zeit geht es auf der Marienbrücke das erste von insgesamt 8 mal über die Elbe und einzelne Zuschauer haben auch schon die ersten aufmunternden Poster parat. Ein Streckenposten hat den Hauptgewinn. Durch ein ca. 1 m zu kurzes Absperrband muss er die Funktion des Verkehrsschildes übernehmen. Und schon gibt es am Streckenrand die erste musikalische Unterstützung. Eine Trommlergruppe mit großen Fässern als alternative Instrumente macht richtig Stimmung. Und die nächsten beiden Bands folgen innerhalb von nur 6 Minuten, das lässt sich ja gut an. Bevor es über die Augustusbrücke wieder über die Elbe auf die Altstadtseite geht, passieren wir das Reiterstandbild von August dem Starken, das in frischem Gold erstrahlt. Hier soll man ja zu DDR-Zeiten mal ein Plakat mit der Aufschrift „Lieber August steig hernieder und regiere deine Sachsen wieder. Lass in diesen schweren Zeiten lieber Erich weiter reiten“ angebracht haben.
Jetzt geht es am Terrassenufer in Richtung Osten. Auch hier gibt eine Musikgruppe ihr Bestes, um uns zu unterstützen. Und auch die Zuschauer feuern uns an. Da es nicht weit bis in unser östliches Nachbarland ist, sind auch einige tschechische Mädels unterwegs. In Höhe der Waldschlösschenbrücke biegt die Strecke dann rechts in Richtung Großer Garten ab, der umrundet bzw. auch ein Stück durchquert wird. Am Streckenrand ist ein großer medizinischer Stützpunkt aufgebaut, der aber nichts zu tun hat. Und die wenig später zu sehende Beflaggung lässt keinen Zweifel aufkommen, wir sind in Sachsen. Auch heute sind auf den Lauf-Shirts der Marathonis einige interessante Aufdrucke zu sehen. So wissen wir jetzt z. B., dass vor uns Uta aus Plauen läuft und einer wohl offensichtlich nur für seinen Chef unterwegs ist. Vorbei an weiteren Bands erreichen wir nach etwas über einer Stunde die 10 km-Marke. Es läuft weiterhin locker flockig bei uns, aber anders darf das nach gut einem Viertel der Streckenlänge auch nicht sein. Eine mental nicht so schöne Besonderheit eines 2-Runden-Kurses ist ja, dass man in der ersten Runde auch die Schilder mit den Kilometerangaben der zweiten Runde sieht. Und bis dahin hat man stets noch einen Halbmarathon vor sich.
Bevor wir in den 1676 auf Geheiß des Kurfürsten Johann Georg III. angelegten Großen Garten hinein laufen, gibt es eine weitere Verpflegungsstelle, hier sogar mit Musikunterstützung. Auf einem breiten asphaltierten Weg laufen wir direkt auf das barocke Palais im Mittelpunkt des jetzt im Sonnenlicht liegenden herbstlichen Gartens zu und durchqueren diesen. Es geht an der gläsernen VW-Manufaktur vorbei, vor der sich eine Band platziert hat. Und dann kommt uns auch schon kurz vor km 15 das Führungsfahrzeug mit der aus zwei Keniaten bestehenden Spitzengruppe entgegen.
Vier am Streckenrand stehende Weißkittel feuern mit einem originellen Plakat ihren Kommilitonen an. Wir überqueren wieder die Elbe auf der Carolabrücke, was ein untrügliches Anzeichen dafür ist, dass wir uns dem Ende der „Kür“ nähern – die Halbmarathonmarke ist nicht mehr weit. Bis dahin geht es noch auf einem schönen Streckenabschnitt auf den Elbwiesen entlang, von dem man einen wunderbaren Blick auf die Altstadtsilhouette mit Brühlscher Terrasse, Frauenkirche, Ständehaus, Hofkirche und Semperoper hat. An der Strecke ist schon wieder Musik zu hören. Es ist tatsächlich beeindruckend, was hier in Dresden an Bands an der Strecke steht. Nachdem wir uns an einer weiteren Verpflegungsstelle gestärkt haben, geht die Laufstrecke durch Baumarkaden und anschließend vorbei an einer in den Dresdner Stadtfarben gekleideten Band.
Ein Bandmitglied ist nur zum Abklatschen der Läufer abgestellt. So ein Stadtmarathon funktioniert natürlich nur mit vielen Helfern, zwei von Ihnen lichte ich mal auf der Augustusbrücke ab. Gleich nachdem wir den Abzweig zur zweiten Runde passiert haben, kommt in der Unterführung des Terrassenufers die nächste Verpflegungsstelle. Eine bei meinen bisher gelaufenen Marathons noch nicht gesehene Sache ist, dass die Becher reichenden Helfer ein kleines Schild angesteckt haben, dass das jeweils angebotene Getränk ausweist. Das erspart das permanente Offerieren durch Rufen. Die Tee-Fee muss mich nicht überreden, einen Becher von ihr zu nehmen. Zu Beginn der zweiten Runde sind die insgesamt 2045 gemeldeten Marathonis nun unter sich. Damit reicht jetzt auch der Radweg auf der Elbwiese als Laufstrecke, auf der man auch viel schöner als auf der Straße unterwegs ist. Und hier hat der Veranstalter auch die gegenüber dem Vorjahr gravierendste Neuigkeit der Stadt in die Streckenführung eingebaut: Es geht über die Ende August eröffnete Waldschlösschenbrücke, die der Stadt die Aberkennung des Welterbekulturtitels für das Elbtal gebracht hat. Neues hat es mitunter schwer. Auch der Eiffelturm wurde nach dessen Bau verspottet und dessen baldiger Abriss gefordert. Das für mich Überraschendste ist dabei jedoch, dass die Waldschlösschenbrücke komplett für den Autoverkehr gesperrt ist. Und das, obwohl nur ein Hinüberlaufen, Wenden auf der Brücke und Zurücklaufen stattfindet. Wieder auf der Altstadtseite zurück, werden wir von einer Blaskapelle begrüßt, die sich mächtig ins Zeug legt. Und auch der ISO-Fee an der nächsten Verpflegungsstelle kann ich das angebotene Getränk natürlich nicht abschlagen. Wir sind immer noch völlig ohne Probleme unterwegs. Anne geht es offensichtlich sogar sehr gut. Nur so kann ich es deuten, dass sie die Geschwindigkeit einen Tick angezogen hat. Das hat zur Folge, dass wir jetzt permanent überholen. Und dabei sind auch drahtig aussehende Männer fällig, bei denen sie nie geglaubt hätte, dass die überholbar sind. Wir sind jetzt wieder am Großen Garten, wo uns ein freundlicher Streckenposten den richtigen Weg weist, auf dem auch Sanitäter als Fahrradpatrouille unterwegs sind. Ein weiterer Helfer an der Strecke klatscht die Marathonis ab, an Unterstützung mangelt es nicht. An der nächsten Verpflegungsstelle sind auch einige Kinder als Helfer dabei, da muss natürlich schon etwas Zeit für eine kurze Konversation sein. Und wenig später bekommen wir sogar noch ein Solo eines weiblichen Mitgliedes der hier spielenden Band geboten.
Ein Ritschafahrer hat eine interessante Offerte an seinem Fahrzeug angebracht, hofft wohl aber vergeblich auf Kundschaft. Einzelne Streckenposten werden jetzt auch nicht mehr gebraucht, sodass hier schon mal die Anrufliste abgefragt werden kann. Die 35 km-Marke haben wir hinter uns. Die vorletzte Überquerung der Elbe kommt in Sichtweite, nach der es dann mit Blick auf das Terrassenufer auf dem Radweg der Neustadtseite in Richtung Ziel geht. Hier motiviert noch mal eine Schalmeiengruppe mit schön gespielter Musik. Das ersehnte 40 km-Schild ist da. Jetzt kommen die berühmten letzten beiden Kilometer, die es ja häufig in sich haben. Wir sind zwar noch flüssig unterwegs, merken nun aber schon, dass wir einiges in den Beinen haben. Ich kläre Anne darüber auf, dass eventuelle Flüche auf diesen beiden letzten Kilometer an das englische Königshaus zu richten sind. Denn dort ist ja die Ursache dafür begründet, dass wir nicht schon am Ziel sind. Die bis zu den Olympischen Spielen 1908 in London nur 25 Meilen (= 40,23 km) lange Marathonstrecke wurde damals kurzerhand um 2 Kilometer verlängert, damit man von der königlichen Loge im Schloss Windsor aus den Start verfolgen konnte.
Es geht ein letztes Mal über die Augustusbrücke. Dass das hier ein ganz leicht ansteigender Streckenabschnitt ist, hat man in der ersten Runde gar nicht gemerkt. Jetzt wird der Schritt doch etwas langsamer. Aber das kann uns nun nicht mehr aufhalten. Es geht noch um zwei Ecken und dann sehen wir schon das Ziel. Anne legt noch eine Kohle zu, sodass in der Einlaufgasse richtig die Post abgeht und ich die Chearleader nur noch unscharf aufs Bild bekomme. Und dann ist Annes Marathonpremiere nach einem absolut souveränen Lauf nach 4:17:16 h und einer um 4 Minuten schnelleren zweiten Hälfte im Kasten. So ein Ergebnis kann sich wohl mehr als sehen lassen. Und das Erstaunlichste ist für mich dabei, dass man Anne die soeben bewältigte Distanz in keiner Weise ansieht. Es gibt eine schöne Finisher-Medaille und dann gleich ein erstes Erdinger-Alkoholfrei, das zischt.
Den Sieg machen drei Keniaten unter sich aus. Es gewinnt Ronald Kurgat in 2:16:45 Stunden, das Knacken der bisherigen Streckenbestzeit von 2:13:03 Stunden aus dem Jahr 2008 gelingt jedoch nicht. Auch bei den Frauen geht der Sieg nach Kenia. Prisca Kiprono siegt ganz überlegen in 2:42:54 Stunden. Resümee: Eine schöne, gut und professionell organisierte Veranstaltung mit interessanter Streckenführung. Schade, dass die Zuschauerresonanz nur recht gering ist. Und passend zu Annes Marathonpremiere befasst sich Peter Greif in seinem Newsletter zwei Tage nach dem Ereignis mit der deutschen Laufszene. Und dort steht klar geschrieben, wer ein Held ist. Download als PDF: Dresden_Marathon_Bericht_13