Mein letzter Start am Auensee datiert aus dem Jahr 1993 zu meinem insgesamt fünften und vorläufig letzten Start über 100 km. 8:51:09 h stand damals im Ergebnisprotokoll. Dann wurde die Veranstaltung von Mitte September auf Mitte August verlegt. Sich zu diesem Termin auf einen Hunderter oder Fünfziger vorzubereiten und dann an besagtem Tag vielleicht sommerliche 25 Grad oder mehr und pralle Sonne anzutreffen, dieses Risiko bin ich seit dem nicht eingegangen. Diese Distanz ist auch bei normalen Temperaturen nach hinten raus nicht ohne und sich das noch zusätzlich durch Wärme zu erschweren, das muss ja nicht sein. Und wie es manchmal so ist, hat jetzt der Zufall ein wenig mitgeholfen. An vergangenem Montag traf ich im Pösna-Park beim Bier holen Jana Altenburger aus meinem Oberholzer Laufrevier, die mir von ihrem vorgesehenen Debüt über die 100 km am Sonnabend am Auensee berichtete. Meinen das Wetterrisiko betreffenden Hinweis konnte sie entkräften, die Prognosen sahen sowohl in Bezug auf Sonne und Temperatur sehr gut aus. Das Nachschauen im Internet erbrachte gleich die Bestätigung: Am Morgen waren um die 15 Grad und tagsüber tatsächlich nicht mehr als 20 angesagt. Und die Sonne, das war wohl viel wichtiger, sollte weitestgehend durch Wolken abgeschirmt werden. Ich war sogleich leicht infiziert. 100 km aus der kalten, das sicher nicht. Aber ein Start über die 50 km schien mir schon sehr verlockend, wenn auch das Training der letzten 10 Wochen auf so etwas überhaupt nicht eingestellt war. Lediglich drei Läufe über 30 km standen in diesem Zeitraum bis dato in meinem Trainingsbuch. Aber aus den immerhin mitten im Sommer von Juni bis zum 10. August absolvierten 550 Trainingskilometer konnte ich jedoch schon die Zuversicht schöpfen, das gut zu schaffen. Um mir selbst noch etwas Bestätigung zu verschaffen, machte ich dann etwas, was man eigentlich nicht machen soll: Am Dienstag einen gepflegten 30er im für den Sonnabend als realistisch eingeschätztem Tempo von 5:40 min/km, lief super.
Da man noch bis eine halbe Stunde vor dem Start melden kann, nutze ich diese Chance. 30 € für 50 km, da sollten manch andere Veranstalter mal die Ohren spitzen. Ja und das Wetter ist um sechs Uhr morgens am Start auch wirklich so wie vorher gesagt, also perfekte Bedingungen. Ein auf einer 10km-Runde ausgetragener Lauf hat ja durchaus seine Eigenheiten. Bei 100 km zuvor neun Mal den Zieleinlauf zu proben, das ist sicher auch nicht jedermanns Sache. Eine gewisse mentale Stärke ist dabei durchaus von Vorteil. Mit dem Start bin ich mir dann noch nicht ganz darüber im Klaren, was ich heute eigentlich will: im eigentlich geplanten Tempo zu laufen und vielleicht dann, wenn es gut läuft, noch eine sechste Runde dran zu hängen. Oder eben doch mal zu sehen was so geht. Zu letzterem habe ich aber auf Grund der fehlenden speziellen Vorbereitung etwas Skrupel. Also erst mal hinten angestellt und losgetrabt. Dass ich die erste Runde dann allerdings so etwas von verbummele, das habe ich mit Blick auf die Durchgangszeit bei 10 km doch nicht erwartet. An Stelle der erwarteten Zeit um die 57 min bzw. leicht darunter steht eine 58:42 auf dem Display. Jetzt packt mich doch der Ehrgeiz, das in der zweiten Runde wenigstens etwas wieder wett zu machen. Eine verbummelte erste Runde hat aber nicht nur Nachteile. Ein unbestreitbarer und beflügelnder Vorteil ist dabei, dass man jetzt permanent überholen kann. Außerdem bin ich nach der ersten slow-motion-Runde absolut locker und gut eingelaufen. Dass ich dann die zweite Runde gleich 5 min schneller laufen kann, das hatte ich so allerdings nicht erwartet, ist aber schön. 20 km bei zu absolvierenden 50 sind allerdings nicht der Rede wert. Bis zu den Knackpunkten ist es noch ein ganzes Stück. Mitten in der dritten Runde geht dann ein ganz leichter Schauer herunter, aber überhaupt nicht störend. Und auch die Wolkendecke reißt mal etwas auf, aber alles im grünen Bereich. Ich bin nach wir vor flockig locker unterwegs. Wenn auch die Sprüche von Zuschauern und Streckenposten häufig optimistisch eingefärbt sind. Mit dem Zuruf, dass ich locker aussehe, kann ich mich jedoch gut identifizieren. Für meine Zielzeit habe ich mir insgeheim so um die 4:45 h vorgenommen, umso überraschter bin ich, als die Durchgangszeit nach drei Runden mit 2:44:01 h angezeigt wird. Das sind knapp 52 min für die dritte Runde, das ist wieder deutlich besser als meiner Erwartung. Jetzt brauchen zum Erreichen meiner Zielzeit nur zwei 60er Runden absolviert werden, das soll kein Problem sein. Und nun kommt ja ohnehin der Streckenabschnitt von km 30 bis 40, der beim Marathon häufig der Scharfrichter ist. Der rechte Oberschenkel hat jetzt mal zwischenzeitlich das Befinden wie etwas fest und der Schritt ist nun mittlerweile auch nicht mehr ganz so flüssig. Was nach wie vor gut geht, ist das Überholen. Selbst große Abstände zu vor mir laufenden Ultras kann ich mühelos schließen. Dass die vierte Runde aber mit 51:39 min die schnellste des Laufes wird, das ist nun wohl doch der Hammer für mich. Die Durchlaufzeit von 3:35:42 h weckt ja mit einem Mal ganz andere Begehrlichkeiten: wenn das so weiter geht, dann ist ja sogar eine Zeit von unter 4:30 h drin. Aber das schiebe ich erst doch erst mal etwas weg von mir. Jetzt ist ja zunächst interessant, was die Durchgangzeit bei der Marathon-Marke anzeigt. Und die 3:47:34 h suche ich in den letzten 5 Jahren in meinen Aufzeichnungen vergeblich. Es läuft sich jetzt allerdings doch zunehmend etwas schleppend. Von den insgesamt 4 Verpflegungsstellen, davon 2 nur Getränke, nehme ich jetzt in der letzten Runde die bei ungefähr km 5 befindliche auf dem Hin- und Rückweg mit. Hier gibt es zwar fast alles was das Herz begehrt. Ich begnüge mich aber mit dem was ich kenne: Bananen und die seit der Rennsteiglaufvorbereitung sehr gut bewährte Cola. Die Verpflegung gibt unmittelbar danach einen schönen Schub, aber dann machen sich die Kilometer in den Beinen doch wieder bemerkbar. Ich mache mich nicht verrückt und verzichte auf einen Blick auf meine Uhr. Der letzte Kilometer beflügelt dann doch etwas und es geht gefühlt recht locker dem Ziel entgegen. Und Wünsche werden auch manchmal beim Laufen wahr. Schon von Weitem kann ich erkennen, dass die zweite Zahl auf dem Display keine „3“ ist. Nach 4:29:31 h überquere ich die Ziellinie. Und was mindestens genau so geil wie die Endzeit ist: ich laufe die letzte genau so schnell wie die zweite Runde. Wenn mir das einer prophezeit hätte, ich hätte es nicht geglaubt. Einziger kleiner Wermutstropfen: da sich auf den Ultradistanzen doch mehr die alten Säcke tummeln werde ich mit Total Platz 9 nur vierter in meiner Altersklasse.
Andreas Gelhaar im August 2014